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Werner Schmidt-Koska gab der Ebersberger Süddeutschen Zeitung vom
3. März folgendes Interview zum Krieg Russlands gegen die Ukraine:
SZ: Herr Schmidt-Koska, es heißt, Geschichte würde sich wiederholen.
Schmidt-Koska: Nein, sie wiederholt sich nicht. Geschichte hat immer einen
Hintergrund, einen Kontext. Aber die Geschehnisse, aus denen Geschichte
entsteht, die sind einmalig und unverwechselbar. Deshalb muss fortschreitende
Geschichte auch stets neu interpretiert werden.
SZ: Neu interpretieren muss sich derzeit auch die Friedensbewegung. Nato-Doppelbeschluss,
die Irakkriege, die Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan. Ein
gewisser Anti-Amerikanismus schwebte beim Protest dagegen stets mit. Das
ist jetzt anders, oder?
Schmidt-Koska: Aus Perspektive der Friedensbewegung ist die Frage weit
weniger relevant, als es womöglich den Anschein machen mag. Die Bewegung
ist gegen Krieg. Punkt. Wer ihn anfängt und welche Gründe dahinterstehen
sind nachgelagerte Fragen. In einer zivilisierten Welt müssen Differenzen
diplomatisch gelöst werden, das ist die Kernaussage der Bewegung.
SZ: Macht sie sich nicht selbst etwas vor, mit Demos und Mahnwachen gegen
militärisch geführte Geopolitik etwas ausrichten zu können?
Überall auf der Welt verurteilen die Menschen den Einmarsch in die
Ukraine ohne jeden Zweifel als völkerrechtswidrig, als Bruch mit
allen gängigen Normen. Die Bilder von hunderttausenden Friedensdemonstranten
auf der ganzen Welt bleiben auch im Kreml nicht ohne Wirkung, da bin ich
mir sicher.
SZ: Aber?
Die Bewegung ist schwach, da gibt es nichts schön zu reden. Die Massen,
die jetzt auf die Straße gehen, hätte ich viel lieber auf den
Friedenskongressen der vergangenen Jahre begrüßt. Nach ihrem
Höhepunkt zu Zeiten der Balkan-Kriege in den 1990er Jahren Nach Beginn
des Krieges gegen Jugoslawien, der am 24.März1999 begann - gab es
einen langen Höhepunkt, danach wurde gerade die deutsche Friedensbewegung
immer unbedeutender. Von einem breiten gesellschaftlichen Engagement konnte
bis vor ein paar Tagen keine Rede sein.
SZ: Auch die Friedensethik reibt sich an der Frage, wann militärische
Gewalt gerechtfertigt sein kann?
Ich kenne keinen Grund, außer: Der Landesverteidigung im absoluten
geografischen Wortsinne.
SZ: Hätte Deutschland die Eskalation in Osteuropa verhindern können?
Ein stärkeres diplomatisches Engagement hätte ich mir in der
Vergangenheit gewünscht, daraus mache ich kein Geheimnis. Ob es geholfen
hätte? Ich weiß es nicht. "Minsk II", also das Abkommen,
dass das den beiden Volksrepubliken in der Ostukraine weitgehende Autonomie
innerhalb der Ukraine einräumteen sollte, halte ich nach wie vor
für den besten Vorschlag. Dieser Zustand ist vergleichbar mit den
Autonomieregelungen, die auch in Mittel- und Westeuropa nicht viel anders
sind. Vielleicht müssen wir in der Geschichte noch etwas weiter zurückblicken:
Um das Jahr 2010 herum Bereits im Jahr 2001 hat Russland eine Freihandelszone
von Lissabon nach Wladiwostok ins Gespräch gebracht. Dieser großartige
Vorschlag wurde nicht zuletzt von Europa mehr oder weniger ignoriert.
Womöglich war das friedenspolitisch eine verpasste entscheidende
Weiche, um das politische Denken in Einflusssphären in Europa zu
überwinden.
SZ: Was kommt nun perspektivisch auf die Friedensbewegung zu?
Es treibt mich um, dass ich keine Antwort habe. Die Friedensbewegung muss
ihre Forderung "Die Waffen nieder!" aufrecht halten. Fest steht
für mich: Russland muss aus der Ukraine abziehen, sofort. Wie - und
ob überhaupt - sich das Verhältnis nach dem Abmarsch wieder
bessern lässt, wird auf diplomatischer Ebene wahrscheinlich die größte
Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wenn man so will,
dann stochern wir dabei mit einer langen Stange im Nebel herum.
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