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Erster Bericht aus Jayyous (25.1.09)
"Die Gewalt ist hier nicht die Lösung, die Gewalt ist das Problem."
(ein israelischer Soldat, in: Karin Wenger: Checkpoint Huwwara)
Jayyous ist ein Dorf mit rund 3700 Einwohnern. Es liegt im nördlichen
Teil des von Israel besetzten Westjordanlandes unmittelbar an der östlichen
Seite der Sperranlage. In diesem Gebiet wurde sie 2002/2003 errichtet.
Die meisten Einwohner leben von der Landwirtschaft. 75% des landwirtschaftlichen
Grundes, ungefähr 8 600 000 qm, liegt auf der westlichen Seite der
Sperranlage (Mauer oder elektrisch gesicherter Zaun mit Fahrwegen beiderseits
für das israelische Militär). In der Nähe liegt die jüdische
Siedlung Zufin. Dieser Ort hat etwas mehr als 1000 Einwohner. Von dem
Land, auf dem der Ort 1989 errichtet wurde, wurden die Landwirte von Jayyous
enteignet. Es gibt bereits Pläne für die Erweiterung von Zufin,
so dass den Landwirten von Jayyous weitere Enteignungen drohen.
Seit der Errichtung der Sperranlage wird in Jayyous gegen die Landenteignung
durch den Bauder Sperranlage demonstriert. Auch die Demonstration am vergangenen
Freitag wendete sich, wie bereits die Demonstrationen vor dem Gazakrieg,
gegen die Landenteignung und außerdem gegen die Verlegung der Sperranlage
in einer Länge von rd. 3 km. Letzteres hat eine Vorgeschichte. Dieser
Teil der Sperranlage war von den israelischen Behörden damit begründet
worden, dass man Platz für die Erweiterung der jüdischen Siedlung
Zufin brauche. Dies wurde - der einer der wenigen Fälle - erfolgreich
vor Gericht angefochten. Der "Erfolg" bestand aber darin, dass
das Gericht die Militärbehörde aufforderte, vier Alternativen
für den geplanten Verlauf vorzuschlagen. Keine der präsentierten
Vorschläge war für die Gemeinde Jayyous akzeptabel, weil die
Landenteignungen dadurch nicht rückgängig gemacht würden.
Der Bürgermeister wurde daraufhin vor Gericht gefragt, welche Alternative
er denn nun wolle. Seine schlagfertige Antwort: "Als ihr unser Land
enteignet habt, wurden wir auch nicht gefragt. Jetzt wollen wir nicht
entscheiden, weil uns keine freie Entscheidung zugestanden wird."
Inzwischen hat die Verlegung der Sperranlage begonnen, d.h. es wurde wieder
Land enteignet, von der Militärverwaltung wurden wieder Bäume
gefällt, und es wurde wieder keine Entschädigung gezahlt.
Die Demonstration begann nach dem Mittagsgebet gegen 12 Uhr 30 in der
Ortsmitte mit rd. 250 Teilnehmern, darunter eine Gruppe von 20 Frauen
- eine recht neue Entwicklung. Der Demonstrationszug ging durch den südlichen
Teil des Ortes in Richtung des South Gate, einem der drei Übergänge
für die Bauern zu ihrem Land jenseits der Sperranlage. Die drei Übergänge
sind täglich stundenweise geöffnet - dazu in den nächsten
Berichten mehr. Viele palästinensische Flaggen, marschähnliche
Musik und Parolen, die von einem der Organisatoren skandiert wurden. Am
letzten Haus der Gemeinde, etwa 200 Meter vor dem South Gate, versperrten
israelische Soldaten mit ihren Jeeps den Weg: erregte Diskussionen, weil
die Demonstranten zum South Gate wollen. Jugendliche und Frauen versuchen,
palästinensische Flaggen an den Jeeps zu befestigen. Nach einiger
Zeit ziehen sich Soldaten und Jeeps in Richtung South Gate zurück.
Die Demonstranten drängen nach, und von den Jugendlichen werden erste
Steine geworfen. Die Soldaten schießen mit Tränengasgranaten
zurück, später schießen sie auch mit scharfer Munition
in die Luft. Die vier Ehrenamtlichen unseres Programms (EAPPI), die bereits
hier vor Ort sind, und wir neuen haben den Zug an der Seite oder am Schluss
begleitet. Jetzt laufen wir zurück und geraten dabei in eine Tränengaswolke.
Wir werden in ein Haus eingelassen und können zwar noch nicht durchatmen,
aber "Luft schnappen" und die Tränen laufen lassen. Das
Haus gehört der Familie von Walid, den wir gestern schon kennen gelernt
haben. Wir werden mit Tee bewirtet und können uns mit Walids Schwiegervater
unterhalten. Sein gesamter landwirtschaftlicher Grund liegt jenseits der
Sperranlage. Aus seiner Familie haben nur er und sein alter Vater, der
aber nicht mehr arbeiten kann, einen Passierschein erhalten. Das bedeutet,
dass er nur einen Teil seines Landes bearbeiten kann und nur noch ein
geringes Einkommen hat.
Als wir auf das Flachdach des Hauses steigen, sehen wir, dass die israelischen
Soldaten inzwischen wieder am Ortseingang stehen und mit Tränengasgranaten
auf die Jugendlichen schießen, die weiterhin mit Steinen werfen.
Für sie sind die Soldaten die Unterdrücker, die einer Regierung
dienen, die ihren Familien das Land weggenommen hat. In ihren Augen ist
das Steinewerfen die einzig mögliche Reaktion, zumal sie mit ansehen
müssen, dass ihre Eltern selbst durch ein Gerichtsverfahren kein
Recht bekommen (s.o.). Hinzu kommt, dass die Menschen hier im Ort im Wesentlichen
von der Landwirtschaft leben. Das bedeutet, dass die Jugendlichen unter
den gegebenen Bedingungen kaum eine Aussicht haben, hier einmal ihre Familie
ernähren zu können. Zu ihrer Verbitterung trägt außerdem
bei, dass immer wieder Jugendliche von israelischen Soldaten verletzt
werden, im letzten Jahr wurde einer getötet (und zwar nicht im Zusammenhang
mit einer Demonstration) und dass es - so wurde und berichtet - kaum eine
Familie gibt, von der nicht ein Mitglied (meistens ein Jugendlicher) schon
einmal von israelischen Soldaten inhaftiert worden war.
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