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Wenn der EU-Vertrag ein Fleckerlball wäre
... würde jede heraushängende Faser von dutzenden Reportern
und Analytikern nächtelang besprochen - weil es aber bis vor kurzem
nur eine unlesbare Beschlussvorlage des neuen europäischen Grundlagenvertrags
gab, blieb es den Regierungen vorbehalten, dies den jeweiligen Parlamenten
zur Verabschiedung vorzulegen. Erst ein Leipziger Student stellte vor
kurzem einen lesbaren Text aus den vielen kryptischen Veränderungsbeschlüssen
aus Maastricht/Nizza und dem vorgeschlagenen Verfassungstext zusammen.
Nur einer der zehn Münchner Bundestagsabgeordneten, welche die attac-Arbeitsgruppe
vor kurzem besuchten, wurde mißmutig ob der ihm vorgetragenen, exakten
Formulierungen.
Die attac-Vertreter Bernward Sauer (Ebersberg) und Henning Ludwig (München),
die Anfang Juni die Ebersberger BürgerInnen gegen den Krieg über
diesen neuen Lissaboner Grundlagenvertrag unterrichteten, vermuten deshalb,
dass es Absicht der Regierungen war, ein praktisch unlesbares Dokument
vorzulegen, weil es möglicherweise zu ähnlichen Schwierigkeiten
gekommen wäre, wie vor einigen Jahren, als derselbe Inhalt den Europäern
als "Verfassung" angeboten wurde und prompt nach monatelanger
intensiver Diskussion in einigen Volksabstimmungen durchfiel: "Jetzt
hat man den Umschlag geändert, damit man den Inhalt leichter schlucken
kann." kritisieren diejenigen, die seit mehr als 5 Jahren intensiv
den Grundlagenprozess in der EU beobachten.
Wenn dieser Vertrag von allen EU-Parlamenten und in der (heutigen) irischen
Volksabstimmung angenommen wird, gilt ab dem Jahr 2009 der "Vertrag
über die Arbeitsweise der Europäischen Union" oder kurz
"Lissabon"-Vertrag. Dann hat sich der Staatenverbund EU in eine
Art "EUROPA-AG" umgewandelt. Dieser Überstaat bestellt
die EU-Kommission für zwei Jahre. Sie besteht dann aus 15 Mitgliedern
(quasi als Vorstand) mit einem Vorstandsvorsitzenden , dem Präsidenten
der Kommission, und mit einem Aussenminister der aber nicht so heissen
darf, sondern, " Hoher Kommissar für Aussenpolitik" .
Der Europäische Rat besteht aus den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten
(quasi der Aufsichtsrat) und verantwortet die neue Art von Kabinettspolitik.
Abgehängt ist weiterhin das EU-Parlament, das zwar direkt von der
Bevölkerung gewählt wird, aber weniger dem Druck der tausenden
Lobbyisten ausgesetzt ist und (deswegen?) weniger Rechte besitzt, es darf
z.B. nicht über aussenpolitische oder gar militärische Aktivitäten
beschließen, sondern nur über die Einrichtung von "Arbeitskreisen"
die diese Aktivitäten leiten - die Beschlüsse dieser Arbeitskreise
liegen wiederum nicht im Einflußbereich der EU-Parlamentarier.
Es hat nur eine geringfügige Aufwertung der Rolle des Parlaments
in dem "Arbeitsweise-Vertrag" gegeben. Weiterhin hat das EU-Parlament
kein Recht, Gesetzesinitiativen einzubringen, die zu EU-Richtlinien führen
- EU-Richtlinien setzt der Deutsche Bundestag zu deutschen Gesetzen um
bzw. er wird dazu gezwungen (das sind inzwischen ca. 80 Prozent aller
Gesetze im Bundestag). Auch hat das EU-Parlament kein Haushaltsrecht -
das heißt z.B. das EU-Parlament darf nicht über die "Ständige
Strukturierte Zusammenarbeit" (SSZ) beschließen, die einen
Kern der militärischen Zusammenarbeit in der EU darstellt (Art. 42).
Dazu passt, dass weiterhin das Aufrüstungsgebot im "Arbeitsweise-Vertrag"
enthalten ist und nun die Rüstungsagentur umbenannt ist in "Verteidigungsagentur"
(Art. 42,3 II), die Rolle der UNO deutlich abgewertet und die der NATO
hervorgehoben wurde, sogar die Möglichkeit einer innereuropäischen
'Gruppe von Willigen' ist möglich, wenn andere sich heraushalten
wollen. Die EU ist ein "Staatenverbund" mit aussenpolitischen
Zielen und Fähigkeiten, sie schützt und fördert die Interessen,
für die sie geschaffen ist.
Dagegen gibt es den Grundrechtskatalog der Individuen nur als Anhang,
dafür aber mit einem deutlich wirtschaftsliberalen Gschmäckle,
vor allem wenn man ihn vergleicht mit der Europäischen Grundrechtscharta
und der UN-Charta, Ausführungen wie im Artikel 14 und 15 Grundgesetz
über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums fehlen nun der EU. Es
gibtr auch kein Recht auf Arbeit bzw. Einkommen. Das Schwergewicht liegt
auf der unternehmerischen Tätigkeit und deren Freiheiten wie Warenverkehrsfreiheit,
Dienstleistungsfreiheit. Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit.
Diese magischen Begriffe deuten stark auf die Entsteheungsgeschickte der
EU hin, die sich ja aus der Montanunion über die Europäische
Gemeinschaft und die Europäische Freihandelszone zur Europäischen
Union gesammelt hat.
Mit den ihr gegebenen Rechten kann die EU (ähnlich wie die WTO -
World Trade Organisation ) einzelne nationale Sozial- und Arbeits-Standards
aushebeln. Wir werden sehen, wer zuerst über den Verlust der Mitte
in der EU klagt.
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